
Als erfahrener Coach und Begleiter von Führungskräften bis zur Top-Ebene begegnet mir immer wieder der Gegensatz von Gewöhnung und Veränderungswille. Dazu habe ich schon einige Male geschrieben. Wir kennen alle die guten Silvestervorsätze und wie schnell sie vergessen sind. Und gleichzeitig leben wir alle in einer Welt, die sich ständig verändert.
Hirnphysiologisch ist das Thema gut untersucht. Gerade las ich über eine bemerkenswerte Studie der University in Atlanta mit dem schönen Titel „Uneitle Affen“. Man hat einer zufälligen Gruppe Menschen und einer Gruppe Affen beigebracht, wie sie eine Belohnung erhalten, nachdem sie am Bildschirm auf eine bestimmte Abfolge von Bildern geklickt haben. Dann wurden die Rahmenbedingung (also die Versuchsanordnung) verändert: Die Belohnung kam direkt, ohne dass die Probanden erst die Bilderabfolge drücken mussten. Das Ergebnis ist ebenso interessant wie erstaunlich: Alle Affen haben sich sofort umgestellt und direkt die Belohnung genommen, ihre eigentliche Aufgabe haben sie ignoriert. Dagegen haben 98 Prozent der Menschen weiterhin die Bilderabfolge geklickt.
Da stellt sich die Frage: Ist es letztlich die Eitelkeit, die Menschen davon abhält, klüger zu handeln?
Der Mensch und sein Stolz auf komplizierte Lösungen
Tatsächlich steckt in dieser Frage mehr Wahrheit, als uns lieb ist. In der Geschäftswelt und in der Politik fallen mir gleich massenweise vergleichbare Erscheinungen auf. Während die Affen pragmatisch dachten „Super, weniger Aufwand, gleiches Ergebnis!“, klammerten sich die Menschen an ihre mühsam erlernte Routine. Als wäre es ein Verrat an der eigenen Intelligenz, plötzlich den einfacheren Weg zu gehen. Als wären sie zu stolz, die Belohnung ohne die vorherige Mühe anzunehmen.
Kommt Ihnen das auch bekannt vor?
Die Eitelkeitsfalle im Führungsalltag
Da ist der Bereichsleiter, der seit Jahren jeden Dienstag um 9 Uhr sein Führungskräfte-Meeting abhält. Obwohl längst klar ist, dass die meisten Themen per Mail oder kurzen Calls effizienter gelöst werden könnten. Obwohl sich längst andere Formate zusätzlich (!) etabliert haben und alles nur wiederholt wird.
Ich denke an die Managerin, die für jede Entscheidung eine 20-seitige PowerPoint erstellt, obwohl ein einfacher Zwei-Zeiler reichen würde. „Ich muss doch zeigen, dass ich gründlich gearbeitet habe!“.
Mein Favorit ist das Experten-Ego: Ich habe einmal mit einem IT-Leiter gearbeitet, der komplizierte technische Lösungen entwickelt, obwohl es längst einfachere Tools gibt. „Das versteht sonst niemand hier, ich hab das System perfektioniert.“
Warum wir uns oft selbst im Weg stehen
Die unbequeme Wahrheit ist, wir sind eitel und stolz auf unsere intellektuelle Kapazität und auf unsere Kompliziertheit. Wir haben Angst, dass andere denken könnten, unser Job sei „zu einfach“, wenn wir plötzlich effizientere Wege finden und vorschlagen. Als würde Einfachheit bedeuten, dass wir überflüssig sind. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Die wahre Kunst liegt doch darin, komplexe Dinge einfach zu machen. Nicht umgekehrt.
Der Affen-Vorteil: Pragmatismus statt Prestige
Die Affen in der Studie hatten einen entscheidenden Vorteil: Sie mussten niemandem beweisen, wie schlau sie sind. Sie wollten einfach nur ihre Belohnung – und das mit dem geringsten Aufwand. Ist das nicht eine befreiende Einstellung? Stellen Sie sich vor, Sie würden sich jeden Morgen fragen: „Wie komme ich heute am effizientesten zu meinen Zielen?“ statt „Wie kann ich heute zeigen, wie hart und angestrengt ich arbeite?“
Wo sind Sie eitel? Reden Sie im Meeting manchmal länger, als nötig wäre, nur um zu zeigen, dass Sie die Problematik durchdacht haben? Oder weil Ihnen mal jemand gesagt hat, man muss Sichtbarkeit zeigen? Halten Sie an umständlichen Abläufen fest, weil Sie sie einmal etabliert haben und sich nicht eingestehen wollen, dass es einfacher geht oder eben gerade keine Lust haben, das Thema anzupacken? Machen Sie manchmal Erklärungen komplizierter, als sie sein müssten, um kompetent zu wirken? Und was ich immer wieder in Coachings sehe: Behalten Sie Aufgaben bei sich, obwohl andere sie genauso gut (oder besser) machen könnten, weil Sie doch der erklärte Experte bleiben wollen?
Die Befreiung: Mut zur Einfachheit
Im Interview mit einem erfolgreichen CEO las ich einmal: „Mein Job ist es, Dinge so einfach zu machen, dass mein Team sie ohne mich schaffen kann. Je weniger sie mich brauchen, desto besser bin ich.“
Das ist doch Anti-Eitelkeit in Perfektion. Vielleicht ist es der Affen-Test für Ihren Alltag? Fragen Sie sich bei jeder Routine, jedem Prozess, jeder Gewohnheit: Würde ein Affe das auch so machen? Übersetzt: Ist es wirklich der effizienteste Weg? Mache ich das so, weil es sinnvoll ist – oder weil ich zeigen will, wie gründlich/kompetent/unersetzlich ich bin? Was würde passieren, wenn ich es morgen einfacher machen würde?
Es gibt ein Paradox mit der Einfachheit: Je einfacher Sie Dinge machen, desto kompetenter wirken Sie. Menschen folgen lieber jemandem, der komplexe Probleme auf den Punkt bringt, als jemandem, der einfache Probleme kompliziert macht.
Die Affen in der Studie haben das intuitiv verstanden. Sie haben keine Energie verschwendet, um zu beweisen, wie schlau sie sind. Sie haben einfach das Beste aus der Situation gemacht.
Ihre Anti-Eitelkeits-Challenge
Suchen Sie sich diese Woche eine Sache – nur eine – bei der Sie „wie ein Affe“ denken. Fragen Sie sich: „Was ist der einfachste Weg zu meinem Ziel?“ Und dann machen Sie es genauso. Ohne Schnörkel. Ohne Beweis Ihrer Wichtigkeit. Vielleicht werden Sie auch überrascht sein, wie befreiend das ist.
Am Ende gewinnt nicht der, der die kompliziertesten Lösungen hat, sondern der, der die einfachsten findet. Die Affen haben das längst verstanden. Wir könnten das auch.
Also: Seien Sie doch heute ein uneitler Affe! Oscar Wilde sagte zu diesem Thema: Die einfachen Dinge sind nicht immer schön, aber die schönsten Dinge sind immer einfach.
Nutzen Sie Ihre Chancen und seien Sie nicht eitel dabei! 😉