
„Ich bin hier, um zu führen, nicht um gemocht zu werden.“
In meinen Entwicklungsseminaren für Führungskräfte bis zur Vorstandsebene ist Macht schon seit Jahren ein Riesenthema. Und als ich vor 15 Jahren begonnen habe, ein Angebot speziell für weibliche Führungskräfte zu konzipieren, war es das erste Thema auf meiner Agenda. In meinen beruflichen Jahren davor habe ich als Headhunterin viele Führungspositionen besetzt und oft den Auftrag erhalten, Frauen zu suchen. Leider war es schwerer, als ich es mir dachte und oft habe ich mich gefragt, warum Frauen so viel weniger Lust auf Macht haben, als ich bei Männern wahrnahm.
Macht ist ein Schlüsselthema in jeder Führungsaufgabe. Je näher an der Spitze, desto mehr. Macht kommt eher auf leisen Sohlen daher. Das Thema schreit nicht, weil es am Anfang von Karrieren viele andere Themen gibt, die über den nächsten Schritt entscheiden. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem es vor allem um das Thema Macht geht: Erkenne ich die komplexen Strukturen aus Interessen, Allianzen und informellen Hierarchien im Unternehmen, oder will ich weitermachen wie bisher? Kann ich Führungswirkung adaptieren oder wehre ich mich gegen die notwendige Veränderung? Kann ich meine eigene Macht sinnvoll einsetzen oder merke ich, wie ich immer wieder an eine Grenze komme?
Genau das passiert regelmäßig: Im gutgemeinten Ansatz, die Führungsrolle vorbildlich zu gestalten, kommen viele Führungskräfte und besonders Frauen ins Straucheln, zögern bei Entscheidungen oder beim Durchgreifen. Gut gemeinte Ratschläge begleiten meistens diese Entwicklung: „Sei doch nicht so hart“, „Du musst auch mal fünf gerade sein lassen“, „Führe lieber mit Empathie statt mit Autorität.“ Als würde Macht haben oder sie ausüben automatisch bedeuten, zur/m Tyrann/in zu mutieren.
Beim Thema Führung bestehen noch immer diverse Unterschiede zwischen Männern und Frauen – sowohl im Verhalten selbst als auch in der Wahrnehmung oder der Bewertung von männlichem oder weiblichem Führungsverhalten. Oder wann haben Sie das letzte Mal einen männlichen CEO gehört, der sich dafür entschuldigt hat, dass er eine klare Ansage gemacht hat? Genau. Nie.
Die Macht-Allergie: Symptome und Nebenwirkungen
Zum Thema Macht und deren Ausübung beobachte ich im Coachingprozess immer wieder die klassischen Ausweichmanöver, durchaus sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Der Harmoniereflex zum Beispiel: „Ach, das können wir doch auch anders oder später lösen…“ „Die Aufgabe muss ich jetzt jemand anderem geben, so läuft es nicht.“– während die Deadline längst überschritten ist und das restliche Team sich fragt, was da gerade passiert.
Oder die Konsensfalle: Stundenlange Meetings, in denen alle zu Wort kommen sollen, bevor überhaupt eine Entscheidung getroffen wird. Und vorher müssen noch die Voraussetzungen für die Entscheidungsfindung mit allen diskutiert werden.
Ebenso oft beobachte ich den Entschuldigungsmarathon, tatsächlich mehr bei Frauen: „Sorry, dass ich das so direkt sage, aber…“ oder „Lass uns nochmal sprechen. Wie geht es Dir denn?“ – als müsste jemand oder frau sich dafür entschuldigen, dass sie ihren Job macht.
Oft hilft eine Begriffsklärung: Macht bedeutet nicht, andere zu unterdrücken oder zum Tyrannen zu werden. Selbst wenn man manchmal eingreifen muss oder anderen Grenzen setzt. Macht bedeutet, Gestaltungskraft zu haben, weil etwas erreicht werden soll. Macht ist die Fähigkeit, Dinge zu bewegen, Entscheidungen zu treffen und Veränderungen herbeizuführen.
Und mal unter uns Frauen: Ist es nicht ein bisschen verrückt, dass wir uns jahrelang hochgearbeitet haben, um dann an der Spitze zu stehen und zu sagen: „Ach, eigentlich will ich gar nicht alles alleine entscheiden“? Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Schraubendreher und würden ihn nie benutzen, weil er ja „so spitz“ ist. Genau so absurd ist es, Führungsmacht zu haben und sie nicht einzusetzen. Macht ist letztlich ein Werkzeug, ein Führungsinstrument. Nicht mehr, nicht weniger. Und wie bei jedem Werkzeug kommt es darauf an, wie man oder frau es einsetzt.
Stellen Sie sich vor, Ihr Team diskutiert seit drei Wochen über die Projektrichtung. Alle haben eine Meinung, niemand trifft eine Entscheidung. Wie lange lassen Sie diskutieren? Bis alle zufrieden sind? Meine Erfahrung ist: Das passiert nie. Die machtbewusste Führungskraft hört sich alles an, wägt ab, entscheidet. Punkt.
Oder der Mitarbeiter, der wiederholt schlechte Ergebnisse abliefert, aber „eigentlich sehr nett“ ist. Wie lange hoffen Sie, dass es sich von selbst regelt? Tut es nicht. Nie. Hier hilft nur ein klares Gespräch über Erwartungen und Konsequenzen.
Die Wahrheit über Macht und Sympathie
„Aber dann folgen mir die Mitarbeiter nicht mehr! Wir müssen doch alle mitnehmen“ – den Satz höre ich nennenswert häufig. Meine Erfahrung ist: Respekt und Sympathie schließen sich nicht aus – im Gegenteil. Menschen folgen lieber jemandem, der klare Entscheidungen trifft, als jemandem, der ständig zwischen allen Stühlen sitzt und zögert. Selbst, wenn sie die Entscheidung nicht immer mögen.
Oft empfehle ich für die innere Erlaubnis, Führungsmacht auch anzuwenden, mit einem Mantra zu arbeiten. Ganz naheliegend ist : „Ich bin hier, um zu führen, nicht um gemocht zu werden.“ Oder auch „Meine Entscheidungen müssen nicht perfekt sein, aber sie müssen getroffen werden.“ Und eine sehr starke Formulierung ist : „Macht zu haben ist ein Privileg – sie nicht zu nutzen ist Verschwendung.“
Fangen Sie ruhig klein an. Beim nächsten Meeting, bei dem alle reden und niemand entscheidet, könnten Sie die Person sein, die das Gespräch zusammenfasst und den nächsten Schritt definiert. Vielleicht werden Sie sogar überrascht sein, wie erleichtert alle sind, wenn endlich jemand die Führung übernimmt.
Der Königsweg: Lust auf Macht
Zum Schluss kommt hier mein Credo, der entscheidende Punkt, der wahre Gamechanger: Es geht nicht nur darum, Macht zu akzeptieren oder zu tolerieren. Der Königsweg ist, Lust an der Machtgestaltung zu entwickeln. Ohne diese Lust wird die Führungsaufgabe leider häufig zur Last. Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf und freuen sich darauf, Entscheidungen zu treffen. Darauf, Ihrem Team Richtung zu geben. Darauf, schwierige Situationen zu meistern und dabei zu spüren: „Das kann ich. Das macht mir sogar Spaß.“
Das ist der Moment, in dem aus einer widerwilligen Machtverwaltung eine echte Machtgestaltung wird. Wenn Sie anfangen, Macht nicht als notwendiges Übel zu sehen, sondern als Ihr liebstes Werkzeug.
Macht ist wie ein Muskel, wird manchmal geschrieben. Was in jedem Falle stimmt ist: Je mehr Sie Macht trainieren, desto stärker wird das Bewusstsein dafür. Und je stärker dieser Muskel wird, desto mehr Freude macht es, ihn auch zu benutzen. Bis Sie irgendwann merken: Das Führen, das Entscheiden, das Gestalten – das bin ich.
Worauf warten Sie noch? Nutzen Sie Ihre Macht und Ihre Chancen!